In diesem Jahr ist alles anders. Das 17. Hamburger Symposium Persönlichkeitsstörungen wurde Corona bedingt auf das kommende Jahr verschoben, somit mussten die alljährlichen Vorträge der Fellowship-BewerberInnen entfallen und auch der Träger das großen Hamburger Preises konnte seine Arbeiten nicht dem Publikum präsentieren. Auch die Preisverleihung konnte nicht im großen Rahmen stattfinden, sondern erfolgte an zwei Orten ohne Publikum.

Die Preisträger

Doktorin Maria Gruber und Professor Doktor Peer Briken (Foto: GePs e.V.)


Links: Preisträgerin der Hamburger Fellowship Persönlichkeitsstörungen 2020 Doktorin Maria Gruber (Foto: GePs e.V.). Rechts: Preisträger des Hamburger Preises Persönlichkeitsstörungen 2020 Professor Doktor Peer Briken (Foto: GePs e.V.).

Hamburger Fellowship Persönlichkeitsstörungen 2020

Die mit 5.000,- € dotierte Hamburger Fellowship Persönlichkeitsstörungen wird zweckgebunden für einen Aufenthalt in einer international renommierten Forschungseinrichtung im Bereich der Persönlichkeitsstörungen vergeben. Frühere Preisträgerinnen waren bei Prof. Otto F. Kernberg am Personality Disorders Institute der Cornell University New York sowie bei Prof. Mary C. Zanarini am McLean Hospital in Belmont, das der Harvard University in Boston assoziiert ist, zu Gast und haben wichtige Impulse für ihre eigene Forschung mit nach Hause gebracht.

Im Jahr 2020 wurden Corona bedingt ganze Arbeiten (nicht nur wie sonst Abstracts) eingereicht, da die Vorträge auf dem Hamburger Symposium Persönlichkeitsstörungen entfallen mussten. Vier junge Forscherinnen und Forscher aus Deutschland und Österreich hatten zu den Themen Selbstkonzept bei Borderline-Persönlichkeitsstörung, Persönlichkeitsfunktion, Psychoedukation sowie stationäre Psychotherapie bei Borderline PatientInnen geforscht und ihre zum Teil bereits frisch publizierten Arbeiten eingereicht.

Aus den vier hochwertigen Arbeiten wurde schließlich die von Frau Dr.in Maria Gruber aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der Medizinischen Universität Wien ausgewählt. In ihrer Arbeit mit dem Titel Personality functioning in anxiety disorders, die jüngst in der Zeitschrift Current Opinion in Psychiatry erschienen ist (Gruber et al. 2019), hat sie einen sehr umfassenden Review zur Thematik durchgeführt und schließlich 22 Studien eingeschlossen, die Funktionsaspekte der Persönlichkeit bei den Angststörungen erfasst haben.

Darüber hinaus hat sie die verwendeten Konzepte und diagnostischen Instrumente dargestellt. Zusammenfassend konnte sie zeigen, dass die Persönlichkeitsfunktion (man könnte auch von Strukturniveau sprechen) bei PatientInnen mit Angststörungen beeinträchtigt ist. Allerdings ließ sich kein Unterschied zwischen den einzelnen Angststörungen ausmachen. Dies widerspricht der wiederholt geäußerten psychoanalytischen Annahme, dass PatientInnen mit generalisierter Angststörung schlechter strukturiert seien als solche mit Panikstörung, wogegen phobische PatientInnen am wenigsten beeinträchtigt seien. Offenbar gibt es Faktoren jenseits der Art der Angsterkrankung, die das Strukturniveau bestimmen. Für den klinischen Alltag lernen wir, dass eine Strukturdiagnostik mit ggf. entsprechender Behandlungsindikation bei AngstpatientInnen unverzichtbar ist.

Frau Dr. Gruber erhält mit der Hamburger Fellowship Persönlichkeitsstörungen 2020 die Chance zu einem Aufenthalt in einer internationalen Forschungseinrichtung im Bereich der Persönlichkeitsstörungen. Die Übergabe des Preises fand durch Prof. Stephan Doering in Wien statt.

Hamburger Preis Persönlichkeitsstörungen 2020

Der Hamburger Preis Persönlichkeitsstörungen 2020 ging an Herrn Prof. Dr. Peer Briken, Direktor des Instituts für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Prof. Briken hatte sich mit 3 theoretischen Arbeiten zum sexuellen Missbrauch bei Kindern bzw. Paraphilien im Allgemeinen beworben.

Seine psychoanalytisch auf hohem Niveau formulierten Konzeptionalisierungen zielen auf Kernfragen der Thematik, nämlich zunächst die Frage biografischer Einflussfaktoren bei der Entstehung der Pädophilie (Briken 2019). Hier rückt Briken von einer vorwiegend genetischen Disposition ab und stellt einen entwicklungspsychologischen bzw. -soziologischen Weg zur Pädophilie dar, ohne biologische Faktoren außer Acht zu lassen.

In seiner zweiten Arbeit diskutiert Briken das Konsensprinzip – genau genommen das Fehlen eines Konsenses – als diagnostisches Merkmal für das Vorliegen paraphiler Handlungen bzw. der Diagnose einer Paraphilie. Er weist mit Nachdruck darauf hin, dass auch konsensuelle Handlungen pathologischer und ggf. delinquenter Natur sein können (Briken 2020).

Seine dritte Arbeit setzt sich mit der gesellschaftlichen Diskussion der Bearbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern auseinander. Briken erkennt, dass im gesellschaftlichen Diskurs nicht selten Spaltungsmechanismen mit den dazugehörigen heftigen extremen Affekten eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Problem verhindern – er sieht in diesen Prozessen einen „kollektiven Wiederholungszwang“, den es zu erkennen und dem es zu begegnen gelte (Briken, zur Publikation eingereicht).

Die Jury entschied sich nach umfassender Diskussion, den Preis an Peer Briken zu vergeben, da seine Arbeiten einige Originalität besitzen und den Finger in die Wunden gesellschaftlicher Diskurse und standespolitischer Auseinandersetzungen legen. Für die Versorgung von PatientInnen mit Paraphilien – und ebenso von deren Opfern – verändert die Perspektive auf entwicklungspsychologische und gesellschaftliche Faktoren die Haltung und das Vorgehen von uns Behandlern.

Leider konnte auch Peer Briken seine Arbeiten nicht wie üblich beim Hamburger Symposium Persönlichkeitsstörungen vorstellen, daher verweisen wir unsere LeserInnen besonders auf die unten referierten Publikationen, die Sie als Sonderdruck sicher vom Autor erhalten können oder nutzen Sie das Video im Anschluss an  diesen Absatz, welches uns Dr. Briken dan­kens­wer­ter­wei­se zur Verfügung gestellt hat. Die Übergabe des Preises fand durch Dr. Birger Dulz in Hamburg statt. Das Preisgeld ist für weitere Forschungsprojekte im Bereich der Persönlichkeitsstörungen vorgesehen.

Jury und Stifter

Die Preisjury bestand aus Prof. Dr. Stephan Doering (Juryvorsitzender), Prof. Dr. Anna Buchheim, Prof. Dr. Babette Renneberg und Dr. Birger Dulz (Präsident der GePs) sowie beratend Prof. Dr. Matthias Nagel (für die Asklepios Kliniken Hamburg GmbH).

Das Preisgeld in Höhe von insgesamt 15.000,- € wird jährlich von den Asklepios Kliniken Hamburg GmbH gestiftet und von der Gesellschaft zur Erforschung und Therapie von Persönlichkeitsstörungen (GePs e.V.) vergeben. Die Verleihung der Auszeichnungen erfolgt für wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Persönlichkeitsstörungen, die den Schwerpunkt auf den klinischen Bezug der Untersuchung legen.

Im kommenden Jahr werden der Hamburger Preis Persönlichkeitsstörungen 2021 und die Hamburger Fellowship Persönlichkeitsstörungen 2021 beim 17. Hamburger Symposium Persönlichkeitsstörungen verliehen.

Literatur und Quelle

Briken, P. (2019). Wiederholungszwang, Selbstvertauschungsagieren und Pädophilie. Psyche 73(5), 363-390.
Briken, P. (2020). Konsens als Merkmal paraphiler Störungen. Psyche 74(4), 280-293.
Briken, P. Wider den kollektiven Wiederholungszwang – Aufarbeitung bei sexuellem Missbrauch von Kindern. (zur Publikation eingereicht)
Gruber, M., Blüml, V., Doering, S. (2019). Personality functioning in anxiety disorders. Curr Opin Psychiatry 33(1), 62-69.

Quelle: Univ.-Prof. Dr. med. Stephan Doering, Juryvorsitzender und Sprecher des Fachausschusses Forschung GePs e.V.